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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut KölnMax-Bruch-ArchivSignatur: Br. Korr. 154, 365

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Brief von Max Bruch an Ernst RudorffMusikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv

Signatur: Br. Korr. 154, 365


Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser],Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]

Sondershausen, 07.06.1869. - 10 Seiten, Deutsch. - Brief

Inhaltsangabe: Transkription: Mein lieber Freund, Ich habe Deinen l. Brief gestern nach Empfang aufmerksam gelesen, und so eben, nach 24 Stunden, bei ganz ruhigem Blut, nochmals. Und bin zu sehr durchdrungen von den Gesinnungen wahrer Freundschaft und Treue, welche Dir den Brief eingegeben haben, um Dir nicht sogleich meinen herzlichen Dank dafür zu sagen. Es gehört selbst unter wahren Freunden ein gewisser Muth dazu, über solche intime und zum Theil heiklige Dinge sich aufrichtig zu schreiben; ich muß Dir also doppelt dankbar sein. Es entspricht ganz Deiner milden Natur, wenn Du auch in diesem Falle Dich der menschlichsten und mildesten Auffassung zuneigst. Der Conflict mit dem alten Sünder ist nur das Product einer langjährigen gegenseitigen Verstimmung. Ich emancipirte mich, solbald ich zurechnungsfähig wurde, mehr und mehr – zu meinem Glück! – von seinen Einflüssen. Er mußte das bemerken, - menschlich und künstlerisch wurden wir uns immer fremder – seine Behandlung meines Concerts auf dem Cölner Musikfest 1868 schlug dem Faß den Boden aus - und ich besaß und besitze nicht genug Klugheit und weltmännische Heuchelei, um unter solchen Umständen das alte Verhältnis scheinbar aufrecht zu erhalten. Auch habe ich keine Idee davon, wie eine nahe Freundschaft, oder nur ein näheres Verhältnis, zwischen zwei Menschen und Künstlern sich erhalten kann ohne herzliche Uebereinstimmung in allen wesentlichen und künstlerischen Hauptdingen. Daß diese Uebereinstimmung zwischen uns vorhanden ist, lieber Rudorff, beglückt mich, und ich weiß, daß deshalb unsere Freundschaft ewig sein wird und muß. – Ich werde also nach Deinem und meiner Schwester Rath handeln und nicht die ausdrückliche Zurücknahme jener unerhörten Beleidigung fordern, sondern ihr selbst die Spitze abbrechen durch die Annahme, daß er diesen Satz bei ruhigem Blut wohl selbst nicht billigen und aufrecht erhalten werde. Auf Weiteres werde ich mich kaum einlassen; der Brief wird kurz ausfallen – ob auch so liebenswürdig und herzlich, wie du meinst, bezweifle ich. Ich kann dem nicht mehr ruhig schreiben. Aber die Form will ich auch diesmal wahren, wie ich sie das erste Mal gewahrt habe. Der äußere Bruch ist also vermieden – der innere vollzogen. Wir werden unsere Wege getrennt fortsetzen, ich mit ... leidenschaftlichen Bedauern, daß nicht ein Anderer der Leiter meiner Jugend gewesen ist. – Du wirst es mir nun nicht verübeln, liebster Freund, wenn ich noch ein Wort pro domo spreche. Es ist fatal, über eigene Sachen zhu reden – Dir gegenüber darf ich es aber, das weiß ich, ohne daß Du mich darum arrogant schelten wirst. - Deine Paralelle [sic] mit Mendelssohn läuft darauf hinaus, daß man mit mir nicht über meine Sachen reden könne. Durch meine Schwester weiß ich, daß Joachim gegen Dich eine ähnliche Aeußerung (mir absolut unbegreiflich!) gethan hat. Du sagst mit Recht, der Künstler soll sich stets erneuern, nicht dieselben Mittel, die einmal gewirkt haben, immer wieder anwenden – da sie sonst immer äußerlicher wirken. Du zeigst mir, als gefahrdrohend für mich, tiefe Felsenabgründe, wo ich, bei aller Anstrengung meiner Augen, bisher (in einer früheren Periode einmal) bloß einen kleinen Spalt, oder Riß, entdecken konnte, der leicht zu überspringen war und, wie ich weiß, jetzt übersprungen ist. Im Allgemeinen gesprochen: Bin ich heute derselbe, der ich vor 5 Jahren war, als ich den Frithjof schreib? Habe ich nicht seitdem, und gerade durch die Sinfonie, mich des polyphonen Elements in seiner vollen Bedeutung zu bemächtigen gesucht? Bin ich also stehen geblieben, - habe ich vom vorhandenen Fett gezehrt, - oder habe ich, das Nothwendige erkennend u. würdigend, einen Fortschritt gemacht, - einen gewiß nicht unwesentlichen?! – Wairkt das Concert mit denselben Mitteln, wie der Frithjof? Das Sanctus mit denselben wie die Schön Ellen? Salamis wie die Frauenchöre? Die Priesterin der Isis mit denselben wie die Sinfonie? Wirkt etwa das Concert mit äußerlichen Mitteln – und wo möchte wohl in der Römischen Leichenfeier das Mißverhältnis zwischen dem Gedanken und den Mitteln stecken? – Wäre es mir um fortdauernden elat, um Effect zu thun gewesen, wie Hiller sehr gütig anzunehmen scheint, so sei überzeugt, daß ich den Frithjof- Erfolg ganz anders hätte ausbeuten können und ausgebeutet hätte; an Anträgen hat es mir nicht gefehlt. Es widerstrebte aber meiner ganzen Natur, einen in Frithjof mit durchaus legitimen Kunstmitteln (darauf muß ich bestehen) „auszubeuten“ – es erschien mir erbärmlich, Wiederholungen zu versuchen – ich habe mich nur gefragt: wo liegt der nächste Fortschritt? Und habe ich dann zuerst geahnt, dann erkannt, in der wahrhaft künstlerischen und möglichst poetischen Anwendung des polyphonen Elements. In diesen Anschauungen stecke ich mitten drin, und glaube nicht, daß ich sie jemals als einen überwundenen Standpunct ansehen werde. Du sollst mich kennen, wie ich bin; Spitta ist einer von denen, die mein, ich darf sagen, richtiges Bemühen nach dieser Seite hin aus der Nähe verfolgt haben – aber nicht Alle haben mich so verfolgen können. – Vielleicht thust Du mir im Herbst den Gefallen, meine sämmtlichen bis dahin erschienenen Sachen (bis op. 36) bis zum Frithjof rückwärts genau durchzusehen (ich schicke sie dir alle) – und ich hoffe, ja ich weiß, daß Du dann sagen wirst: „Meine Mendelssohn-Paralelle war unrichtig. Die Gefahr, die ich in freundschaftlicher Besorgniß zu erblicken glaubte, war eine imaginäre. Du hast den einzig möglichen Fortschritt erkannt und gemacht, und darfst auf diesem Wege fröhlich und mit bescheidener Zuversicht weiter vordringen, soweit es Deiner Kraft vergönnt ist.“ – Du und Dietrich, ihr seid wohl die Einzigen, von deren Objectivität ich genaue Prüfung und völlige Würdigung dieser Bemühungen erwarten kann. In späteren Jahren kommen Andere auch wohl dahinter, die jetzt noch mit sehenden Augen blind und mit hörenden Ohren taub sind oder es sein wollen. – Ich denke, was die gegenseitige Beurtheilung unserer Sachen angeht, so haben wir uns immer reinen Wein eingeschenkt; Gernsheim u. ich idem. Joachim habe ich seit 4-5 Jahren, seit ich ihm näher getreten bin , stets um sein aufrichtiges Urtheil befragt, - habe ihm in sehr vielen Fällen, ja eigentlich regelmäßig bewiesen (in den verschiedensten Sachen), wie sehr ich seine Meinung schätze – habe das ganze Intermezzo aus d. Sinf. auf seinen Rath gestrichen, - in der Priesterin der Isis Aenderungen gemacht – in welcher Art wir das Violin-Concert besprochen haben, möge Dir beiliegender Brief [hier nicht vorhanden] beweisen, - und nach Alledem kommt der zu Dir, und sagt, wenngleich in freundschaftlicher Weise – man könne mit mir nicht über meine Sachen sprechen! Dem gegenüber beschleicht mich eine eigene Art Traurigkeit und – Unsicherheit, Rathlosigkeit, weil ich keine Ursache Joachim gegenüber mir denken kann, und absolut nicht weiß, welche Concessionen er eigentlich verlangt, da ich doch glaube, auch mit ihm in allen wesentlichen Dingen übereinzustimmen. Es ist also wahrscheinlich schon ein Verbrechen, wenn man die so natürliche Freude über etwas unzweifelhaft Gelungenes, Eigenes, nicht heuchlerisch verbirgt! Zum Teufel, soll ich mich nicht ein bischen freuen, wenn ich mein Sanctus vollendet sehe? Soll ich vielleicht kommen zu Joachim u. sagen: Lieber Freund, ich befürchte, das ist ein äußerst dürftiges Stück geworden – urtheilen Sie, ob es leben soll oder in die Versenkung fahren?! – Ich habe Joachim immer aufgefordert, seine aufrichtige Meinung zu sagen / und sie stets durch Befolgung seiner Rathschläge vollkommen respectirt. - / Hat er sie dennoch nicht gesagt, so thut mir das leid für ihn. Ich wasche meine Hände in Unschuld. – Nach alledem kann ich nichts weiter thun, als immer weiter arbeiten, meine so sehr gehaßte Persönlichkeit möglichst wenig mit der Welt in Berührung zu bringen, mit wenigen Freunden, unter denen Du mir einer der theuersten sein wirst, zu leben und zu denken und übrigens der Welt ein Schnippchen zu schlagen. Habe ich nur das Bewußtsein, Fortschritte zu machen und gute Sachen hinzustellen, so mag alles Andere der Teufel holen. (Hiller holt er hoffentlich recht bald.) – Mündlich, im August, vielleicht mehr über diese Sachen, mein Lieber. Komm nur, und wir erwarten Dich mit Sehnsucht, Spitta, der Deine Gesinnungen erwidert, und ich. Schick doch bald die Ballade, damit wir sie bis schon vorher probiren können. - Und sei herzlichst gegrüßt von dem arroganten Monstrum, dem unausstehlichen Scheusal, so sich nennt Dein treu ergebener Freund Max BruchFür Deine Schweizreise wünsche ich alles mögliche Gute.

Bemerkung: Max Bruch

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz

DE-611-HS-4307773, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4307773

Erfassung: 8. Dezember 2025 ; Modifikation: 8. Dezember 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-12-08T15:27:05+01:00