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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln Max-Bruch-Archiv Signatur: Br. Korr. 154, 185
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Brief von Max Bruch an Ernst Rudorff Musikwissenschaftliches Institut Köln ; Max-Bruch-Archiv
Signatur: Br. Korr. 154, 185
Bruch, Max (1838-1920) [Verfasser], Rudorff, Ernst (1840-1916) [Adressat]
Berlin-Friedenau, 24.05.1915. - 16 Seiten, Deutsch. - Brief
Inhaltsangabe: Transkription: [Vermerk von anderer Hand, Bleistift:] nur politisch Berlin-Friedenau, am Pfingstmontag, 24.5.15 [einen Tag nach dem Kriegseintritt von Italien auf Seiten der Entente, WS] M. L: Ich erinnere mich nicht, das „liebliche“ Pfingstfest jemals in meinem Leben in so trüber Stimmung und unter einem so schwarzen Druck erlebt zu haben, wie diesmal. Wie sollte es auch anders sein? Manche wichtige Symptome deuteten auf eine starke Kriegsmüdigkeit u. Depression in allen feindlichen Ländern hin; ihre Offensive war, dank unsrer heldenmüthigen Truppen u. der meisterhaften Führung, überall zusammengebrochen – renommistische [=prahlende] Redensarten täuschten die Völker nicht mehr über die wirkliche Lage und über die unerschöpfliche Kraft Deutschlands – und somit war überall die Empfindung vorherrschend, daß das entsetzliche Morden in nicht allzuferner Zeit ein Ende nehmen könne und müsse. Und nun greift plötzlich diese gemeine, bestochene Italienische Erpresserband in den Krieg ein; ein niederträchtiger Treubruch, wie er noch nie da war, ist erfolgt – neue, große Massen traten in den Kampf gegen uns ein, und der furchtbare Krieg wird dadurch unabsehbar verlängert! Wenn auch das italienische Heer bisher keine großen Lorbeeren gepflückt hat (weder 1866 in der Lombardei, noch in dem gemeinen Raubzug nach Tripolis, noch in Ost-Afrika, wo es sogar von den Abessiniern vernichtend geschlagen wurde), so bedeuten doch diese neuen Massen immerhin eine sehr wesentliche Verstärkung für unsere Feinde – und schließlich können wir doch nicht auf allen Kriegsschauplätzen sehr stark sein, denn auch unsere Leistungsfähigkeit hat doch ihre Grenzen! – Und dazu diese gräßliche Vorstellung des Kriegszustandes zwischen uns und einem Lande, mit dessen alter Kultur uns tausend und abertausend Fäden verbanden! Und diese „Wälschen“ (über deren Tücke die Deutschen schon im Mittelalter immer klagten) werden sich nichts daraus machen, event. (nach dem Beispiel der Franzosen) Kanonen neben dem Palazzo Pitti und den Ufficien und dem Mailänder Dom aufzustellen, und Signal-Apparate auf der Markuskirche – und wenn wir dann schießen müssen, so sind wir wieder einmal die „Barbaren“!! – Na, wenn es diesen gottverdammten Schurken darum zu thun ist, so können sie durchaus noch recht viele neue Ruinen zu ihren alten haben! Uebrigens bin ich dann doch der Ansicht, daß wir unsere Alliierung mit Oesterreich (die für letzteres immer viel mehr Werth hatte als für uns) ein bischen zu theuer bezahlen müssen. Durch die Serbische Sache wurden wir 1914 in die Balkanhändel Oesterreichs hineingerissen (von denen Bismarck vor seinem Vertrag mit Oest.-Ungarn von 1879 nie etwas wissen wollte); und jetzt müssen wir wieder unser Blut vergießen für Oest.s italienische Provinzen, die uns eigentlich gar nichts angehen. Wie die Dinge sind, müssen wir natürlich helfen; aber ich bin nicht der Ansicht, daß die Dinge so werden mußten, wie sie durch Bismarck geworden sind. Der alte Kaiser Wilhelm, dessen klares, ehrliches Auge Gegenwart und Zukunft deutlich übersah, hat bekanntlich monatelang seine Unterschrift unter den Allianzvertrag mit Oest. Ung. verweigert, erst als Bismarck wieder einmal (zum xten Mal) mit seinem Rücktritt drohte, hat der alte Herr seufzend, unwillig, und nicht überzeugt unterschrieben. Er wollte unter allen Umständen die alten traditionellen Beziehungen zu Rußl. pflegen, so viel es irgend möglich war, - und das wäre auch die allein richtige Politik gewesen; Alles verdorben, aber ohne S. M. und Caprivi (beide politische Dilettanten ohne alle Erfahrung) als sie bald nach Bismarcks Sturz, 1890, den von Bismarck abgeschlossenen wichtigen Neutralitäts-Vertrag mit Rußland --- kündigten!!! Dadurch trieben sie Rußland geradezu (vergl. was Bismarck darüber sagt) in die Arme Frankreichs, und es dauerte nun nicht mehr lang, so erschien die franz. Flotte in Kronstadt und der Czar war genötigt – während sich ihm sein absolutistisches Herz im Leibe herumdrehte – die Marseillaise stehend anzuhören! – Ich bin überhaupt der Ansicht (und manche erfahrene Männer teilen sie) daß nicht alles so schlimm zu kommen brauchte, wie es gekommen ist, wenn nur unsere ganz unfähigen Diplomaten nicht seit 1890 alles verdorben hätten. An dem wichtigsten Posten, in Paris, saß ein – Hornochse (zart ausgedrückt) „le Baron de Schoen“, Neffe eines Wormser Weinhändlers, der sagte dem Vertreter der Köln. Ztg. In Paris, Dr. K_r, noch am 30. Juli 1914 (!!): „Sie brauchen Paris nicht zu verlassen, es giebt keinen ... die franz. Minister gaben mir die beruhigendsten Versicherungen.“ / Dies erzählte mir Weihnachten hier der Dr. K_r, ein treffl.- Mann./ er hatte sich also geradezu betrügen lassen. Ebenso war es in Rom: Barrère wusste alles und that alles – unser Ostelbischer Grande wusste nichts und that auch nichts. Und so war es überall. Und was sollten sie auch thun? Waren sie doch die Vertreter einer schwächlichen, unsicheren, kraftlosen und oft ganz fehlerhaften Politik! Was noch in dieser Beziehung Dr. K-r erzählt hat (der dort in Paris 20 Jahre lang, an hervorragender Stelle, die Politik Deutschlands genau verfolgen konnte) überhaupt alles was man sich vorstellen kann! Zu der allgemeinen Sorge kommt jetzt bei uns noch ein großer persönlicher Kummer: der zweite Sohn von Maria Zanders, mein guter und lieber Freund Hans Z., ist nun auch plötzlich gestorben – erst 53 Jahre alt. Sie sind nun dort Alle todt, an denen mein Herz hing, und auch meine Schwester ist dahin. Was soll ich noch auf Erden – warum mein ödes und ganz nutzloses Dasein noch weiterschleppen? Eine schwere Depression, gegen die ich vergebens ankämpfe, hat sich meiner bemächtigt. Könnte ich nur noch arbeiten - aber auch das geht nicht mehr; ich kann nicht mehr denken u. arbeiten, und dazu kommt noch, daß meine Augen nachlassen, u. daß ich meines Uebels wegen keine Aussicht habe, diesen Sommer hinaus und hinauf zu kommen – auf die Höhen, wo ich bisher ein bescheidenes Glück fand, nachdem die Heimath mir geraubt war. Das Alter ist schon in sich ein schweres Uebel und es wird noch schlimmer durch diese, wechselhaft schreckliche Zeit. Will ich irgend etwas unternehmen – Noten schreiben – Lebenserinnerungen skizzieren, oder dgl. – so sage ich mir sofort: „Wozu –es ist ja alles eitel“ - die Feder entsinkt mir, und ich thue nichts! – Am Ende seid Ihr schon in Lauenstein? – Herzliche Grüße Dir und den Deinigen, Dein M. BruchZanders, Hans Wilhelm (1861-) [Erwähnt], Zanders, Maria (1839-1904) [Erwähnt]
Bemerkung: Max Bruch
Objekteigenschaften: HandschriftPfad: Max-Bruch-Archiv / Korrespondenz
DE-611-HS-4305365, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-4305365
Erfassung: 26. November 2025 ; Modifikation: 26. November 2025 ; Synchronisierungsdatum: 2025-11-26T14:05:18+01:00
